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Gesicht der Hansestadt, obdachlos und ausgewiesen: die Geschichte von Doom

Uns Studenten geht es doch echt super. Wir haben ein Dach über dem Kopf, bekommen eine gute Bildung, reichlich zu essen und haben Familienmitglieder, die sich um uns sorgen. Noch dazu können wir in unserer Wahlheimat leben. Was aber, wenn das alles wegfällt? Wenn man komplett auf sich allein gestellt ist und in seinem eigentlichen Zuhause nicht mehr geduldet wird? Im Folgenden wollen wir die Geschichte von Doom erzählen. Doom war bis vor kurzem ein Rostocker Gesicht und er lebt auf der Straße, seitdem er 9 Jahre alt ist. Rostock ist seine selbst gewählte Heimatliebe, doch hier bleiben darf er nicht.

Das einzige Foto von Doom.
Quelle: 0381-Magazin März 2017

Der Punk auf der Kröpi

Meist sah man Doom tagsüber die Kröpeliner Straße hoch und runter laufen. Ein Punk mit zerissenen Hosen, Iro und Brille. In der einen Hand einen Red Bull, in der anderen die Rostocker Obdachlosen-Zeitschrift „STROHhalm“. Die Zeitung ist dazu da, Obdach- und Langzeitarbeitslose langsam wieder in das Arbeitsleben einzugliedern und ihnen eine Aufgabe zu geben. Von jedem Exemplar, das Doom für 1,20€ verkauft, bekommt er die Hälfte ab. Mehr Einkommen hat er nicht. Gegessen wird hier und da, was ihm vor die Füße kommt oder das, was die Obdachlosenhilfe so bietet. Luxus gibt es für ihn nicht, er ist froh, wenn er irgendwo schlafen kann. Und doch gibt er sich zufrieden damit.

Schon mal den STROHhalm gelesen?
Quelle: Fc Hansa Rostock

Doom ist auf dem Papier Schweizer, an seinem Dialekt hört man es teilweise. Als „irgendwelche Hippies“ werden seine Eltern beschrieben, Erinnerungen an sie sind nicht vorhanden. Im April wird er 30 Jahre alt. Bereits mit 9 Jahren steht Doom auf eigenen Beinen, irrt durch die Weltgeschichte, sein Herz schlägt für den Punk. Später verschlägt es ihn glücklicherweise in unsere Hansestadt, in der er bleiben möchte. Das Beste, was ihm passieren konnte: Er findet eine handvoll Freunde, die zu ihm halten und ihn integrieren. Zusammen verbringen sie die Abende in der KTV-Kneipe Molotow und feiern das ein oder andere Jahr Silvester zusammen. Sein weniges Hab und Gut verstaut er in einer Garage, in der er im Winter auch schläft.

Auf den Straßen Rostocks
Foto von olafheyde auf Instagram

Rostock als Heimathafen

Es steht außer Frage: Doom fühlt sich wohl in Rostock. Die Stadt ist für ihn mehr ein Zuhause als andere je zuvor. Sein Freundeskreis ist seine Familie, er verdient ab und zu ein paar Euro und er schlägt sich tapfer durchs Leben. Unsere Redakteurin hat ihn als einen sehr netten und höflichen Menschen kennengelernt. Bei einem Konzert im JAZ vergangenes Jahr lehnte er die Einladung zu einem Bier bescheiden und dankend ab. Im Molli soll er derjenige gewesen sein, der seinen Freunden etwas zu trinken ausgab. Doom ist weder aufdringlich, noch stört er mit seiner Anwesenheit irgendjemanden. An der Volkshochschule Rostock schrieb er sich ein, um die Schule nachzuholen. Und doch musste er Rostock, sein Zuhause, wenig später verlassen.

Dooms Dächer über dem Kopf: das Molotow und das JAZ

Es kam der Tag, an dem Doom von der Polizei aufgegriffen und festgenommen wurde. Er sei illegal hier, sein Herkunftsland ist die Schweiz, also müsste er auch wieder dorthin zurück. Aufgrund des Tatbestandes von illegaler Einreise und ein paar Schwarzfahrten wurde Doom zu 8 Monaten Haft verurteilt. In der JVA Bützow, nicht in der Schweiz. Sein Geld, das er zuvor, womöglich durch den STROHhalm verdient und gespart hat, wurde ihm abgenommen. Ein paar Monate wird es ruhig um ihn. Bis abends ein Brief ins Molotow flattert. „Hier, den soll ich euch von Doom geben“ und Dooms Molli-Freunde halten seine Zeilen in den Händen. Auf welche Art und Weise der Brief den Weg in die Kneipe gefunden hat, wissen seine vier Freunde nicht.

Dooms Zeilen an seine 4 Freunde

„Bin wohl der erste auf Erden, der einen Brief an vier schreibt. Wisst ihr eigentlich, warum Gefängnisse so schlimm sind? Weiß es wirklich niemand, na? Also nicht das Eingesperrt sein oder die eingeschränkte Bewegung, Taten und Freiheiten sind schlimm, sondern die Tatsache, dass man die ganze Zeit nachdenkt, was man tun soll, will und kann, wie es draußen steht und dass man nichts tun kann. Man wird zum Denken gezwungen, selbst, wenn man es nicht kann. Das ist das schlimmste am Knast.“

Werbekampagne mit Diskussionsbedarf

Der Widerspruch: Auf hunderten Rostocker Plakaten ist er mit 28 anderen Rostockern als ein „Gesicht der Hansestadt“ unter dem Slogan „Wir alle sind Rostock“ zu sehen. Unter dem Plakat das absolute Paradoxon: „Für Vielfalt und Toleranz“. Oberbürgermeister Roland Methling betont: „Rostock hat viele Gesichter. Wir alle sind aufgefordert, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass unsere Stadt lebens- und liebenswert bleibt.“ Leider hat Rostock nun ein Gesicht weniger, denn was mit dem obdachlosen Doom geschah, interessiert nach dieser Werbekampagne scheinbar niemanden. Und so fährt Doom in unzähligen Straßenbahnen durch Rostock umher, ohne hier sein zu dürfen.

„Wir alle sind Rostock“ – ob Rostock das auch so sieht?
Quelle: 0381-Magazin März 2017

„Wenn jemand ein Buch schreiben will, darf er gerne mein Leben klauen.“…

…schrieb Doom. Über seinen Gefängnisaufenthalt, seine Wünsche, Pläne und Ziele schreibt er auf eine berührende Art und Weise in seinem Brief. Und dass er unbedingt wieder nach Rostock zurückkommen möchte. In die Schweiz will er nicht, denn sein Zuhause und seine Freunde sind hier. Mit den Worten „Die Freiheit ist unser Gefängnis“ wird Doom jedoch leider recht behalten. Nach seiner Entlassung im Februar scheint eine Rückkehr in die Hansestadt ohne Aussicht. Doom muss zurück in die Schweiz, in seine „Heimat“, die für ihn alles andere als Heimat ist. Ob er nun dort ist, weiß man nicht. Aber was man weiß, ist, dass Doom trotzdem das Bestmögliche aus der Situation herausholen wird, lebensfroh und mit offenen Armen durch das Leben geht und dabei gibt, was er geben kann – auch, wenn er selber nicht viel hat. Wir hoffen, dass seine Wege ihn vielleicht doch irgendwann mal wieder nach Rostock führen und dass es ihm gut geht, wo auch immer er gerade ist.

„Mag sein, dass mein Leben eine Einbahnstraße ist, aber immerhin ist sie die längste der Welt“ (Zitat Doom)

4 Comments

  • P.
    P.

    Danke, dass ihr Doom´s berührende Geschichte erzählt habt. Ich habe mich oft gefragt wohin er verschwunden ist. Ich hoffe, dass es ihm gut geht.
    Wenn ich im Sommer in der Schweiz bin, werde ich meine Augen offen halten.

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    • Luise Schröder
      Luise Schröder

      Hallo Olli,
      vielen Dank für Deinen Kommentar. Uns lag die Geschichte auch sehr am Herzen, auch wenn Doom nun leider fort ist. Aber wir sind uns sehr sicher, dass es ihm gut geht und er sich mit seiner typischen lebensfrohen Art durchs Leben schlagen wird. Wenn du ihn siehst: Grüße ihn und sag ihm, dass ziemlich viele Rostocker und Rostockerinnen hinter ihm und seiner Geschichte stehen 😉
      Liebe Grüße aus der StudentsStudents-Redaktion

      Antworten
  • L.
    L.

    Bewegender Bericht!
    Schade, dass man davon nicht früher etwas gehört hat, dann hätten wir uns gemeinsam gegen diese „Abschiebung“ engagieren können.

    Antworten
    • Luise Schröder
      Luise Schröder

      Vielen Dank! Ja, da hast Du absolut Recht. Schade, dass es alles so schnell ging und Doom so zeitig das Land verlassen musste. Trotzdem toll, dass es Menschen wie Dich gibt, die sich für solche Geschichten einsetzen wollen. Danke dafür!
      Liebe Grüße aus der StudentsStudents-Redaktion

      Antworten

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