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#6 HRO-800: Der Wessi und die Vokuhilas – Hansa Rostock, der letzte DDR-Meister

Hurra, unser wunderschönes Rostock feiert dieses Jahr seinen 800. Geburtstag. Für uns ist das ein schöner Anlass, um mal richtig tief in der Rostocker Historien-Schatzkiste zu kramen und Euch jede Woche Montag eine geschichtliche Perle über unsere Stadt preiszugeben.

17 Jahre nach dem Meistertitel ist der FCH sportlich nur noch drittklassig. Die Kreativität der Fans gehört nach wie vor in die Bundesliga. – Foto: instagram @red.cat.xo

Sprechen wir über die Geschichte unserer Stadt, darf der große F.C. Hansa Rostock nicht fehlen. Viele rollen mit den Augen, wenn es um Hansa geht, doch den wenigsten von ihnen ist bewusst, welch Bedeutung dieser Verein für die Menschen hier hat. Er ist fast so etwas wie der Pulsschlag der Region. Und der FCH war nicht immer in den sportlichen Niederungen unterwegs, er war sogar einst Deutscher Meister.
Zugegeben: Es handelt sich dabei nicht um die Meisterschaft der 1. Bundesliga, sondern um den ersten Platz der DDR-Oberliga, aber diese war immerhin das oberste Regal des ostdeutschen Fußballs – warum sollte dieser Erfolg also kleingeredet werden? Zumal Hansa am 25. Mai 1991 nicht irgendein DDR-Meister wurde, sondern der für immer letzte der Deutschen Demokratischen Republik.
Wundermacher Uwe Reinders. – Foto: Screenshot aus der NDR-Doku „Das Wunder von Rostock“ vom 21.5.2011

Nach der Wende war Rostock ein toter Winkel des ostdeutschen Fußballs und blieb deshalb vor Wildereien westdeutscher Vereine verschont. Während Dynamo Dresden, der BFC aus Ost-Berlin, Magdeburg oder Chemnitz – die Hochburgen des DDR-Fußballs – einen herben Aderlass durch abgewanderte Spieler zu verkraften hatten, blieb die Mannschaft von Hansa zusammen. Dass sich umgekehrt jemand aus dem Westen in den Osten verirrte, glich fast einer Sensation. Ein gewisser Uwe Reinders hingegen suchte nach einem Neustart, nachdem er im Westen als Zocker und unseriöser Lebemann verschrieen wurde. Er sah den Schritt in die ehemalige DDR als Chance.
Mit ihm, als Trainer, kam der Architekt eines Fußballwunders an die Ostsee, denn dass der FCH die Meisterschaft gewinnt, daran dachten nicht mal die kühnsten Träumer. Das ihm gesetzte Ziel lautete, sich für die gesamtdeutsche 2. Bundesliga zu qualifizieren, also mindestens den 6. Platz in der Oberliga zu belegen, die sich nach der Saison auflösen würde.
Bei der Geburt getrennt:

Bei seinem Amtsantritt traf Reinders auf einen skurrilen Haufen unmotivierter Fußballer mit ein und der selben Frisur: dem legendären Vokuhila. Eine Mannschaft wie aus Maaskantje. König der Vokuhilas war, natürlich, Mike Werner. Klamotten und der Erwerb eines westdeutschen Autos – möglichst ein Mercedes – schienen vielen Hansa-Kickern bis dato wichtiger zu sein als sportlicher Erfolg. Damit nicht genug: Als der neue Trainer all seinen Spielern seine Telefonnummer gab, entgegnete ihm fast das komplette Team, dass sie gar kein Telefon hätten – für den Wessi ein Kulturschock. Und so sah sich Reinders gezwungen, an einigen Stellschrauben zu drehen, um die graue Maus des DDR-Fußballs ein wenig zu entstauben und umzukrempeln. Dafür machte er in erster Linie eines: alles anders.
Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Abschaffung des obligatorischen Grußes „Sport frei!“ vor jeder Trainingseinheit – man sei schließlich nicht bei der Armee. In den Köpfen der Spieler des FC Hansa waren die biederen, militärisch anmutenden Mechanismen des DDR-Sports tief verankert. Und plötzlich steht in persona Uwe Reinders’ die komplette Antithese all dessen vor ihnen. Ein Kumpeltyp mit unkonventionellem Mundwerk und einer messerscharfen Rhetorik, ein Motivator wie aus dem Lehrbuch, der sich bestens darin verstand, seine Spieler heiß zu machen und ihnen einzubläuen, was es bedeutet, bezahlter Profi zu sein – mit allen Privilegien, aber auch Pflichten. Ihr wollt einen Mercedes? Dann geht auf den Platz und versohlt euren Gegnern den Arsch.
So feiern Meister: Abwehrkante Gernot Alms in einem ballonseidenen Traum an der Luftgitarre. – Foto: Screenshot aus der NDR-Doku „Das Wunder von Rostock“ vom 21.5.2011

Reinders erzog die Ostseekicker zu eigenverantwortlichem Ehrgeiz, nahm dem Verein den bleiernen Mantel lethargischer Tristesse vom Leib und ließ ihn in neuem Selbstbewusstsein strahlen. Alles wurde umgestellt, nicht zuletzt auch die Ernährung, die bisher stets aus deftigem Kantinenessen und Cola bestand. Das Resultat: Die Kicker wurden zu drahtigen Athleten, die laufen konnten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Reinders war zweifelsohne der Wind in den Segeln der renovierten Kogge.
Die Methodik des westdeutschen Trainers trug von Beginn an Früchte. Sprach er von der Mannschaft, nutzte er bewusst die ostdeutsche Vokabel des Kollektivs, denn diese beschrieb die Tugenden des FCH besser als alles andere. Hansa dominierte die Oberliga. Von selbstgefälliger Anspruchslosigkeit, keine Spur. Man spielte aggressiv und entschlossen, ein unbedingter Siegeswillen wurde geweckt. 
Juri Schlünz: Hansa-Legende, Freistoß-König, Kapitän und Hirn der Mannschaft. – Foto: instagram @ndr2

Dirigiert von dem genialen Kapitän Juri Schlünz, defensiv zusammengehalten von Heiko März und Hilmar Weilandt und veredelt durch die Tore von Henri Fuchs, ließ die Saison für das Kollektiv Rostock nur eine Option offen: Meisterschaft – und das drei Spieltage vor Schluss mit einem 3:1 gegen Dresden. Eine Sensation.
Übrigens: Hansa gewann nicht nur die Meisterschaft, sondern holte außerdem den NOFV-Pokal (ostdeutsche Version des DFB-Pokals). – Foto: instagram @annebar2d2

Die Bilder von der Meisterfeier sind bis heute legendär. Der Autokorso. Frank Rillichs lüsterner Blick im Trabi-Cabrio auf die Kurven einer Cheerleaderin. Mike Werner auf der Simson. Das alte Ostseestadion. In der letzten DDR-Saison wurde das Kollektiv nicht nur Meister, sondern rettete, laut Juri Schlünz, dem Verein das Leben. Reinders machte den Spielern klar, dass im Ostseestadion die Lichter ausgehen würde, würden sie sich nicht mindestens für die 2. Bundesliga qualifizieren. Damit hatte er recht, denn viele Größen des Ost-Fußballs traf dieses Schicksal, wodurch sie bis heute in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden sind.

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