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Eine Antwort auf die Top 5 Argumente gegen gendergerechte Sprache (Gastbeitrag)

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag einer Leserin, Marie Michael. Sie hat uns mit ausführlicher Kritik zu unserem Beitrag zum Thema „Genderpflicht an Universitäten“ kontaktiert. Im Sinne des Meinungspluralismus, wollen wir ihr und anderen die Möglichkeit geben, auch Ansichten zu vertreten, die unsere eigenen ergänzen oder ihnen sogar entgegenstehen. Hinweis: Auch bei diesem Beitrag greift die Netiquette.

Ich stelle mich gern als Feministin vor. Dafür erntet man zwar ab und an Kommentare, die irgendwo zwischen mitleidig und aggressiv liegen, aber ich mag Diskussionen. Auch solche, die ich schon unzählige Male geführt habe, und auch solche, die ganz grundlegende Fragen klären. Ich habe dann das Gefühl, ein paar Steinchen auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit zur Seite zu kicken oder wenigstens selbst so ein Steinchen zu sein auf dem Weg in die entgegengesetzte Richtung.

Auch in der letzten Woche habe ich wieder diskutiert, als bei „StudentsStudents Rostock“ ein Artikel erschien, in dem erörtert wurde, ob der verpflichtende Gebrauch gendergerechter Sprache in wissenschaftlichen Arbeiten legitim wäre. Dabei geht es vordergründig darum, anstelle des generischen Maskulinums (z.B. „Studenten“) geschlechtsneutrale Formen (z.B. „Studierende“, „Student*innen“) zu etablieren. Die Autorin positioniert sich klar ablehnend gegenüber einer solchen Pflicht an den Universitäten. Nun ist es nicht bloß so, dass ich diesem Urteil widerspreche, ich halte auch die dazugehörige Argumentation für lückenhaft und inkonsistent, denn sie basiert größtenteils auf intuitiven Alltagsvorstellungen. Ich möchte hier die fünf Hauptargumente des Beitrags vorstellen und widerlegen, weil sie praktischerweise ganz typische Einwände darstellen, die gegen gendergerechte Sprache immer wieder vorgebracht werden.

Sprache und Gleichberechtigung

1. Gendergerechte Sprache verfehlt ihr Ziel.

Bevor man ihr Verfehlung attestiert, muss man ja erst einmal fragen: Welches Ziel verfolgt gendergerechte Sprache überhaupt? Ich habe das Stichwort bereits genannt: Soziale Gerechtigkeit. Entscheidend ist hier die Feststellung, dass Sprache einen Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse ausübt, sie also reproduziert oder ihnen entgegenwirkt. Sprache schafft Realität; was wir benennen können, existiert. Und indem wir die Notwendigkeit anerkennen, eine Sache zu benennen, gestehen wir dieser Sache Relevanz zu. Das gilt übrigens nicht nur für Sachen, sondern auch für Menschen. Die Frage, ob ich eine Gruppe von Studierenden als Studenten oder als Student*innen bezeichne, gibt Aufschluss über meine Wahrnehmung und hat politische Konsequenzen. So wurde beispielsweise kürzlich in einer Studie belegt, dass das schwedische genderneutrale Pronomen „hen“ eine stärkere gedankliche Berücksichtigung diverser Geschlechter und Sexualitäten erwirkt. Die Proband*innen, die angewiesen worden waren, das neutrale Pronomen zu verwenden, waren bei der darauffolgenden Schreibaufgabe eher geneigt, nicht männliche Figuren zu entwerfen, und zeigten in einem abschließenden Fragebogen sogar eine erhöhte Akzeptanz für LGBTQAI+-Personen. Das würde ich so als Erfolg verbuchen.

2. Gendergerechte Sprache betont Verschiedenheit statt Gleichheit.

Gerechtigkeit heißt nicht automatisch Gleichheit. Um zu erkennen, dass eine bestimmte Menschengruppe systematisch benachteiligt wird, müssen wir verstehen, gegen welches abgrenzende Merkmal sich diese Benachteiligung richtet. Das kann Geschlecht sein oder Herkunft oder das körperliche Erscheinungsbild. Nur so können wir Diskriminierungsprozesse gezielt bekämpfen. Die Gleichheit, auf die der Artikel sich beruft, ist eine scheinbare. Sie besteht nämlich nur in der Grammatik, die mithilfe des generischen Maskulinums alle gleich (also: männlich) aussehen lässt. Wir leben aber in einer diversen Gesellschaft, die faktisch eben nicht hundertprozentig maskulin ist, und diese Verschiedenheit zu betonen, ist notwendig, wenn wir soziale Gerechtigkeit anstreben.

Soziale Gleichberechtigung

3. Gendergerechte Sprache ist nicht unser größtes Problem.

Aber es gibt ja nun wirklich Wichtigeres! Dieser Versuch eine Problematik zu banalisieren, indem man auf eine andere (angeblich viel drängendere) verweist, wird als Whataboutism bezeichnet und stellt einen logischen Fehlschluss dar.  Denn erstens kann ich natürlich für eine gendergerechte Sprache argumentieren und gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen oder die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder Lord Voldemort. Und zweitens verkennt diese Annahme, dass ein sozialer Missstand oft mit vielen anderen in Wechselwirkung steht. Wenn man einsieht, dass Sprache Einfluss auf gesellschaftliche Mechanismen ausübt, muss man auch ihren Anteil an Diskriminierungszusammenhängen anerkennen. Wir agieren in einem System, das Frauen* und alle Personen, die der LGBTQAI+ Community angehören, strukturell benachteiligt. Das wird unter anderem deutlich durch Gender Pay Gap, unausgewogene Repräsentation in den Medien, durch Gewaltstatistiken und traditionelle Geschlechterrollen, durch die Sexualisierung ausgewählter Körperbilder und eben auch: durch Sprache. Wenn wir gendergerechte Formulierungen als Standard etablieren, gehen wir also nicht nur gegen die sprachliche Diskriminierung von Frauen* und LGBTQAI+ vor, sondern wenden uns aktiv gegen die Gesamtheit der patriarchalen Strukturen, die das soziale Ungleichgewicht bedingen. Wir weigern uns, eine Gesellschaft zu akzeptieren, in der bestimmte Menschengruppen marginalisiert oder unsichtbar sind.

4. Gendergerechte Sprache schränkt die gestalterische Freiheit ein.

Hartnäckig hält sich die Beschwerde, gendergerechte Formulierungen würden die deutsche Sprache irgendwie verunstalten oder zumindest einfach nicht schön klingen. Das ist natürlich erstmal Ansichtssache.Wenn jemand das Gefühl hat, das Sternchen störe die Ästhetik, kann ich dagegen im Grunde nichts einwenden. Doch Schönheit ist nicht das oberste Kriterium bei der Wortwahl, sondern Korrektheit. Wenn ich etwas benennen will, entscheide ich zuerst, welche Bezeichnungen am ehesten der Realität entsprechen, und erst im nächsten Schritt, welche der akkuraten Optionen ich in ästhetischer Hinsicht bevorzuge. Wir würden einen Pudel auch nicht Wolfshund nennen, nur weil das schöner klingt, denn ein Pudel ist eben kein Wolfshund. Und eine Studentin ist kein Student. Aus diesem Grund hat man in Schweden beispielsweise auch das Wort „mödomshinna“ (Jungfernhäutchen), das entgegen der konservativen Annahme überhaupt nichts über die sexuellen Erfahrungen einer Person aussagt, durch „slidkrans“ (Scheidenkranz) ersetzt. Weil die neue Bezeichnung die anatomische Realität einfach präziser beschreibt.

Und nicht vergessen: Es geht hier um die Frage, welcher Sprachgebrauch wissenschaftlicher Standard sein soll. Und es liegt ja in der Natur wissenschaftlicher Arbeiten, dass sie gewisse Formalia erfordern und auch ein bestimmtes sprachliches Niveau.

Gendergerechte Sprache und Sprachwissenschaften

5. Gendergerechte Sprache ist zu kompliziert.

Dieses Argument verstehe ich, glaube ich, am besten, obwohl ich das Wort „kompliziert“ nicht ganz treffend finde. So kompliziert ist es ja tatsächlich gar nicht, ein Sternchen an der richtigen Stelle zu setzen; nach ein paar Versuchen hat man eigentlich geschnallt, wie das funktioniert. Aber: Es ist anstrengend. Es ist anstrengend, immer reflektiert zu bleiben, Gewohnheiten abzulegen und Traditionen infrage zu stellen. Es erfordert Aufmerksamkeit. Es nervt. Aber es nervt noch mehr, aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung Diskriminierung zu erfahren. Wir müssen uns bewusstmachen, was für ein ungeheures Privileg es ist, der Meinung zu sein, über solche Fragen nicht nachdenken zu müssen. Sprache ist politisch. Und marginalisierten Gruppen ein Stück sozialen Raum zuzugestehen, ist jede Anstrengung wert.

1 Comment

  • AFL
    AFL

    Stimme dem Artikelnzu 100% zu, nachdemich über den vorherigen sehr enttäuscht war. Was mich stört, ist maximal die Einleitung der Redaktion, die es trotzdem nicht geschafft hat, Kritiker*innen zu schreiben. Aber wenigstens für Leserin hat es gereicht. Studentsstudents hat sich stets bemüht…

    Antworten

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