Es ist wieder soweit. In Rostock wird am Montagabend demonstriert. Auf der einen Seite die AfD und Sympathisanten, auf der anderen Seite diejenigen, die für Toleranz und Nächstenliebe werben. Ein paar Hundert auf der einen Seite, häufig doppelt so viele auf der anderen.
Und die restlichen Einwohner des Viertels, das sich die Anmelder der Demonstrationen ausgesucht haben, müssen darunter leiden. Supermärkte stellen Sicherheitspersonal ein, Anwohner parken ihre Autos um und Hundespaziergänger ändern ihre Route.
Da hört man immer wieder die Frage: Muss das sein?
Demochaos in Rostock, ein Kommentar
Am 23.09.2019 heißt das Motto: Abschiebekultur (der Osten steht auf). Ein weiteres Motto des Abends: Gemeinsam für Vielfalt (Infos). Es wird wieder laut, es gibt Sperrungen, es gibt Durchsagen, genervte Anwohner und viel Polizei.
Und eben die Frage: Muss das sein? Häufig wird diese noch relativiert. Muss das sein? Also muss das genau hier sein? Ist ja wichtig zu demonstrieren und so, aber muss dann gleich wieder das ganze Viertel stillstehen?
Ganz ehrlich, die Autorin dieses Beitrags kann das nachvollziehen. Sie wird zwar heute Abend wieder dabei sein, aber sie besucht auch nicht jede Demo dieser Art. Die Wenigsten schaffen das, selbst wenn sie für die Werte stehen, die heute Abend auf der Demo für Vielfalt vertreten werden.
Und wer bei 40 Stunden (plus Überstunden) pro Woche abends auch noch mit Straßensperrungen und Lärm kämpfen muss, der ist natürlich genervt. Der ganze Tagesablauf wird durcheinander geworfen. Da kann man nicht anders, da fragt man sich: Muss das wirklich sein?
Ja, das muss es. Denn ganz besonders in dieser Zeit, in der Politik für viele zum Schlachtfeld wird oder komplett ignoriert wird, müssen demokratische Protestmittel wie das der Demonstration geschützt werden. Es ist leicht zu vergessen, welche luxuriöse Situation wir in Deutschland haben, weil wir unsere Meinung frei äußern können und das auch öffentlich und in unterschiedlichster Form.
Und auch wenn die AfD ihr Recht auf Meinungsfreiheit nicht zu schätzen weiß – immerhin behaupten sie gerne, es gäbe gar keine in Deutschland – steht ihnen dieses Recht nun mal zu. Wenn sie eine Demo organisieren, auf der sie ihre Meinung in ein Megaphon schreien dürfen, dann kann dabei nun mal auch total absurd herauskommen: „Hier gibt es keine Meinungsfreiheit.“
Das kann man als Humbug abtun. Man kann sogar darüber lachen, wenn Sprecher auf solchen Demos in Rostock mit voller Überzeugung rufen: „Hallo Cottbus“. Aber das Verbieten der Demo ist nun mal keine Lösung. Also braucht es Gegenprotest.
An dieser Stelle einmal Respekt an alle, die sich zu jeder Demo gegen Rechts aufraffen und wieder und wieder bei Wind und Wetter dabei sind. Ohne diese Menschen könnte auch der Gegenprotest mit der Zeit schrumpfen. Stattdessen gibt es immer eine Mischung aus Dauergästen und denen, die gerade die Zeit finden.
Deshalb auch eine Bitte: Protest gegen fremdenfeindliche und menschenverachtende Weltbilder ist unglaublich wichtig. Nicht nur aus geschichtlicher Sicht, sonder vor allem, weil der Protest von heute unsere Gesellschaft von morgen gestaltet. Aber nicht jeder Mensch kann oder muss genauso hart kämpfen wie diejenigen, die immer dabei sind.
Die Dauerkämpfer plus die Gelegenheitsaktivisten ergeben Proteste. Dass die Dauerkämpfer viel mehr von sich sehen möchten, ist doch klar. Aber die Gefahr besteht, dass sie dadurch auch die Fähigkeit verlieren, die Situation ihrer Mitmenschen einzuschätzen.
Und dann wird auf „Muss das sein?“ nicht mit einer Erklärung geantwortet, die möglicherweise ein Umdenken beim Gegenüber erzeugen könnte. Nein, dann kommt trotzig zurück: Bist du einer von denen? Willst du hier nur Nazis haben? Hab dich mal nicht so.
Für manche Menschen ist der Kampf gegen Rechts das Wichtigste im Leben und das wichtigste Thema in unserer Gesellschaft. Für andere ist es der Kampf gegen AIDS, Kinderarmut, Umweltverschmutzung, … Und für manche sind die schwierigsten Dinge im Privatleben zu finden. Kranke Angehörige, kleine Kinder oder ein furchtbarer Streit – diese Dinge nehmen nun mal Platz 1 auf der Prioritätenliste ein.
Dagegen kann man nun pöbeln, weil wir eine Verantwortung haben, weil es um viel mehr als eine kleine AfD Demo geht, weil Flüchtlinge jemanden brauchen, der sich für sie einsetzt. Darin liegt ja auch viel Wahres. Doch wie wäre es damit:
Ein Anwohner fragt: Muss das sein? Und wir antworten: Ja, denn Demonstrationen sind ein wichtiges Mittel, um Demokratie zu ermöglichen. Es mag für Sie gerade nicht so wichtig erscheinen, aber glauben Sie mir, wenn Sie keine Meinungsfreiheit hätten, dann würden Sie das ganz schnell, ganz anders sehen. Und auch wenn die AfD Demos klein sind, können wir sie nicht ignorieren. An jedem Abend, an dem der bunte und weltoffene Protest deutlich größer ist, zeigen wir, dass wir eine tolle Stadt sind. Das sendet ein Signal an die AfD, an den Rest von Rostock, an die Presse, an Flüchtlinge, an Kinder und an ihre Eltern.
Wenn Sie möchten, gesellen Sie sich doch einfach dazu. Nicht vorne, wo es laut ist und die Polizei direkt vor der Nase steht. Bleiben Sie ruhig am Rand und beobachten Sie, wie viele verschiedene Menschen hier sind – jung, alt, groß, klein, deutsch, zugezogen, eingewandert, Student, Bäcker, Versicherungsverkäufer…
Sie können gegen die Demos schimpfen, sie ignorieren oder einfach mal vorbeischauen. Das ändert nichts daran, dass Sie einen Abend lang mit Hindernissen zu kämpfen haben. Aber wir stehen hier für Vielfalt und Toleranz ein, es schadet also auch nicht, den Abend gemeinsam mit uns zu nutzen.
Nicht jeder wird sich bekehren lassen. Das ist auch in Ordnung. Dies ist lediglich ein Aufruf. Ja, das muss sein und ja, es ist okay, wenn man vom ganzen Drumherum genervt ist. Aber das ist doch kein Grund, aufeinander loszugehen.
Informationen für Demonstrierende und diejenigen, die es noch werden wollen – und für diejenigen, die in Evershagen wohnen und einfach nur dem Stress entkommen möchten – oder eben doch noch überlegen, ob sie lieber mitmachen wollen.
Information von Polizei und der Stadt Rostock: Sperrungen und Einschränkungen