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Nachts in Rostock: Ich wurde verfolgt

Sie war auf dem Heimweg, als sie jemanden heranrennen hörte und plötzlich einen wuchtigen Schlag spürte.

Hattet ihr schonmal Angst um euer körperliches Wohl? Damit ist nicht der Sonntag nach einem sturzbetrunkenen Wochenende gemeint. Ernsthafte Situationen, in denen ihr durch Kriminalität oder andere äußere Einflüsse echte Angst verspürt. Ich nicht. Bis vor drei Tagen.
Ich habe bereits in der KTV, Evershagen und Warnemünde gewohnt und bin nachts etliche Male über die Hundertmännerbrücke, durch Dierkows dunkle Tunnel und gruselige Gassen der Gartenstadt gelaufen. Nie habe ich meine Kopfhörer aus den Ohren genommen, nie habe ich Zweifel an meiner Sicherheit gehabt. Auch nicht, als ich anfing, für lokale Online-News zuständig zu sein und mir an Arbeitstagen nicht eine einzige Meldung über Gewaltverbrechen in MV verborgen blieb. Ich hatte während der Zeit manchmal ein Pfefferspray dabei – aber nur, um meine Eltern zu beruhigen.
Seit kurzem wohne ich in einem neuen Stadtteil. Am Montag fuhr ich von der Langen Straße bis zum Holbeinplatz mit der Straßenbahn, um dort in die Fledermaus einzusteigen. Ich hatte eine Umsteigezeit von ungefähr 15 Minuten, die ich rauchend in der Bushaltestelle verbrachte. Mit mir ein großgewachsener Mann zwischen 35 und 40 Jahren. „Hast du Feuer?“, fragte er mich, „gern“, sagte ich, als er es mir zurückgab. Ob ich Studentin sei, ob ich aus Rostock käme. Ich starrte angestrengt auf Instagram und antwortete kurz angebunden. „Nein, aus Hamburg“, sagte ich. Keine Ahnung, wieso. Es fuhren mehrere Busse vorbei, er stieg in keinen ein.

Der gemeinsame Heimweg trennt sich irgendwann zwangsläufig und man ist allein.

Als mein Bus kam, folgte er mir hinein und setzte sich mir gegenüber. Seine Blicke wanderten während der Busfahrt immer zwischen mir und dem Rest des Busses hin- und her. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits innerlich panisch. In so einer Situation bin ich noch nie panisch geworden. Aber etwas war an dem Mann, das mich misstrauisch machte. Vielleicht seine Blicke, seine Beharrlichkeit trotz meines offensichtlichen Desinteresses. Vielleicht, dachte ich, wohnt er aber auch nur in meiner Nähe und sucht aus Langeweile das Gespräch. Wenig überzeugend, der Gedanke, wenn man vor Panik schon am Sitz festklebt.
Ich schrieb meiner Freundin mehrere WhatsApps und versuchte, zu planen – für den Fall, dass er auch vorhatte, ebenfalls an der Endhaltestelle auszusteigen. Ich hatte viele Möglichkeiten.

1. Testen, ob ich verfolgt werde

Ich hätte vor einem (nicht meinem) Halt aufstehen und zu einer Tür außerhalb seines Blickfelds gehen können – und dann nicht aussteigen. Seine Reaktion hätte womöglich gezeigt, ob er beabsichtigt, nur wegen mir an einer Haltestelle auszusteigen und würde die folgenden Punkte nach sich ziehen.

2. Mich mit Anwesenden verbünden

Selbst der Busfahrer kann so ein Verbündeter sein. Wer nicht allein ist, macht sich schwerer angreifbar. Von einem beruhigenden Plausch bis zum gemeinsamen Finden und Umsetzen eines Auswegs kann alles helfen.

3. Jemanden anrufen

Ich hätte eine vertraute Person anrufen können, die während meines Heimwegs am Telefon bleibt. Nicht nur hätte mir das ein besseres Gefühl beschert, sondern hätte den potenziellen Täter auch abgeschreckt, weil die Person am Telefon sofort die Polizei einschalten könnte.

Foto von @_muschelschubser_ auf Instagram

4. Den Busfahrer bitten, mich woanders rauszulassen

Wenn ich vor der Endhaltestelle gemerkt hätte, dass der Mann mit mir aussteigen wird, hätte ich den Busfahrer bitten können, mich auf seinem Rückweg an einem Ort rauszulassen, an dem es Taxen oder wenigstens eine Tankstelle mit Menschen gibt.

5. Das Heimwegtelefon anrufen

Wenn man die 030-12074182 wählt, begleitet einen ein Mitarbeiter des Heimwegtelefons bis zur Wohnung und alarmiert Hilfe, sollte sie gebraucht werden.

6. Ein Taxi zur Haltestelle rufen

Das Taxi hätte mich von der Haltestelle sicher zu meiner Haustür bringen können.

7. Belebte Plätze aufsuchen

Die berühmten drei L’s – Leute, Lärm und Licht – schrecken jeden potenziellen Täter ab. Leider hatte ich beim Ausstieg gegen 0.30 Uhr weder eine Tankstelle noch Lärm oder Leute in der Nähe – sondern ein weitläufiges – und vor allem: schlafendes – Wohngebiet.

Foto von @m1ch4hro auf Instagram

8. Bei akuter Gefahr

Wenn man sich sicher ist, verfolgt zu werden, sollte man natürlich die Polizei rufen – und/oder Zuflucht bei anderen Menschen suchen, zum Beispiel an einer Haustür klingeln, am besten dort, wo noch Licht brennt. Man kann den Bewohner dann bitten, einen einzulassen. In einer solchen Gefahrensituation wäre ich allerdings  aus diesem Bus gar nicht erst ausgestiegen. In diesem Artikel soll es um das Unwohlsein gehen, wenn man sich unsicher ist.
All diese Dinge hätte ich tun können, und das meiste davon hätte wahrscheinlich geholfen. Alles, was ich tatsächlich geschafft habe zu tun, waren die WhatsApps an meine Freundin. Denn es gibt zwei Faktoren, die man als Außenstehender nicht bedenken kann, wenn man in der Situation noch nicht war.

Der erste ist, dass ich mir komplett lächerlich vorgekommen wäre, jemanden (zurecht, aber das wusste ich erst später) der Verfolgung zu beschuldigen, der mir bloß ein paar Fragen gestellt hat und zufällig in meinem Bus saß. Natürlich wäre einem nie jemand – Freunde oder andere – böse, wenn man sich rein aus Bauchgefühl und Verdacht Hilfe, etwa per Telefon, sucht. Aber in der Situation fühlt man sich – vermutlich auch gesellschaftlich so anerzogen – als würde man wie so oft übertreiben. Der zweite ist, dass ich mir dachte: „Schön und gut, wenn ich jemanden am Telefon habe, der die Polizei ruft, sobald er hört, dass das Handy auf den Boden fällt und ich nichts mehr sage.“ Denn ja – aufgeklärt werden mit vorherigen Personenbeschreibungen bestimmt dadurch ein paar mehr Fälle, die potenzielle Attacke erspart es mir aber nicht. Und die Panik. Die mich am Sitz festklebt.

Sie war auf dem Heimweg, als sie jemanden heranrennen hörte und plötzlich einen wuchtigen Schlag spürte.

Bei diesem Zitat handelt es sich um den Facebook-Teaser einer bekannten Nachrichtenseite zu der Meldung, eine Frau sei nachts auf dem Heimweg vergewaltigt worden. Ich wollte diesen wuchtigen Schlag nicht verspüren, aber ich konnte in meiner Verfassung nichts tun, außer meinen Schlüssel in der Tasche bereit zur Verteidigung zu halten.
Ich stieg schließlich an der Endhaltestelle aus, blieb stehen, drehte mir eine Zigarette. Langsam, ja, denn schnell konnte ich mit zitternden Händen ohnehin nicht. Er blieb vor mir stehen und fragte: „Kann ich dir helfen?“ Ich verneinte. Er ging. Langsamer, als ich meine Zigarette drehte. Er bog in eine Abzweigung ein und verschwand irgendwann. Ich ging los. Noch alles hell, aber bald würde die Dunkelheit kommen, und von seiner Abzweigung aus brauchte er nur durch einen der Durchgänge unter den Häusern gehen und wäre bei mir.

Screenshot von www.heimwegtelefon.de

Ich sah das Taxi gerade noch rechtzeitig. Ich ging zielstrebig hin, öffnete die Beifahrertür, der obligatorische Blick nach hinten, und da stand er wieder. Zurück dort, wo er in die Abzweigung eingebogen war. Ich stieg in das Taxi und bat den Fahrer, zu warten, bis ich durch meine Haustür verschwunden war. Seine Frau habe hier auch immer Angst, einmal habe er sie sogar abholen müssen, als jemand hinter ihr war, erzählte er mir.
Am nächsten Tag stand ich vor dem Rätsel, ob ich überhaupt jemals wieder abends weggehen sollte – mir steckte der Schrecken noch einen ganzen Tag in den Knochen. Aber in der Winterzeit, in der es ab 17:30 Uhr stockfinster ist, und auch aus Prinzip ist so ein Gedanke schon zu verwerfen. Ich habe gelesen, dass die Polizei statt zu Pfefferspray zu Taschenalarmen rät, ich beschäftige mich damit nun gedanklich und finde mich damit ab, dass ich – sollte so etwas erneut passieren – meinen Notfallkontakt anrufe, mit dem das Ganze abgesprochen ist.
Ist euch schon einmal Ähnliches passiert? Fühlt ihr euch nachts auf dem Heimweg unwohl? Habt ihr bessere Ideen, was man machen könnte, als unsere Autorin? Diskutiert gern mit uns. Bitte beachtet, dass jegliche Kommentare, die in irgendeiner Weise die Herkunft von Tätern in den Diskurs werfen, direkt gelöscht werden. Auf den Aspekt wurde bewusst verzichtet, weil er nichts mit einer potenziellen Gefahr auf dem Heimweg zutun hat. Auch möchten wir mit diesem Artikel eine solche potenzielle Gefahr nicht auf Rostock reduzieren – in jedem Ort auf der Welt, an dem Menschen nachts nach Hause gehen, kann so etwas passieren.
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4 Comments

  • Jule
    Jule

    Sehr gruselige Geschichte. Ich fühle mich naiverweise auch immer sicher auf meinen Heimwegen. Dabei habe ich auch schon mal eine Situation erlebt, die mich im Nachhinein gruselt. Ich kam aus dem Keller, sichtlich angeheitert und machte mich alleine torkelnd auf den Heimweg. In der Kröpi kam ein Mann auf mich zugesteuert und fragte mich aus, wo ich denn hin wolle und was mein Plan wäre. Erst als ich ihm erklärte, dass mein Freund mich an der nächsten Kreuzung abholt, machte er sofort kert und verschwand wieder in einem Seiteneingang. Ich hab dann meinen Freund angerufen und darum gebeten, dass er mich wirklich dort abholt…

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    • Jennifer aus der Redaktion
      Jennifer aus der Redaktion

      Liebe Jule,
      daher ist es immer gut, vor dem Feiern schon zu wissen, wer im Notfall ans Telefon gehen würde. Du hast dich clever verhalten, die Situation schnell entschärft. Wir möchten auch auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass man nun permanent ängstlich sein muss, aber man muss sich leider auch auf den Extremfall einstellen. Schön, dass bei dir alles glimpflich verlaufen ist.
      Liebe Grüße und danke für dein Feedback

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  • Nati

    Ich erinnere mich an eine Situation wo ich nachts vor der Med auf die Fledermaus wartete. Außer mir wartete dort nur noch ein junger Mann. Er schien eigentlich recht freundlich und wollte anscheinend ein wenig reden, aber in der Situation gefiel mir das garnicht. Ich malte mir aus, was womöglich passieren könnte. Und er hörte nicht auf mir (smalltalk) Fragen zu stellen, wobei ich mir wünschte, er würde mich in Ruhe lassen. Auch dann im Bus, wo er sich neben mich setzte (kein Ding, gab kaum freie Plätze). Aber in meinem Kopf hatte ich die ganze Zeit Angst und mein Bauch rief die ganze Zeit Gefahr.
    Heute tut es mir leid, ich komme mir unsozial und komisch vor. Hatte versucht das Gespräch zu vermeiden, indem ich ihm nicht antwortete. Aber in dem Moment hatte ich Angst. So Absurd es auch scheinen mochte, denn später hat er sich blendend mit anderen Fahrgästen unterhalten.
    Sorry Leute, falls ihr mal nachts mit mir quatschen wollt, aber manchmal bekomme ich da einfach Angst.

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    • Jennifer aus der Redaktion
      Jennifer aus der Redaktion

      Liebe Nati,
      wenn du dir solche Vorwürfe machst, bringst du dich nächstes mal möglicherweise in Gefahr. Leider müssen besonders Frauen oder körperlich beeinträchtigte Menschen vorsichtiger sein, da sie sich nicht physisch wehren könnten, wenn es zum Extremfall kommt. Auch wenn es natürlich auf den jungen Mann komisch gewirkt haben könnte, so schuldest du ihm auch gar keinen Smalltalk, ganz besonders nicht abends und alleine, aber auch grundsätzlich in keiner anderen Situation. Beim nächsten mal könntest du ihm vielleicht sagen, dass du etwas müde bist und nicht wirklich Lust auf Quatschen hast? Wer wirklich nur reden will, sollte dann ja ablassen.
      Liebe Grüße und danke für deinen Kommentar

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