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Ersti im Jahr 1978: Aus dem Leben eines Rostocker Medizinstudenten

Es ist das Jahr 1978. Wir befinden uns in der Deutschen Demokratischen Republik Deutschland, in Rostock. Martin, 21 Jahre alt, kreativ und voller Tatendrang, lässt endlich seine Armeezeit hinter sich und beginnt das Medizinstudium an der Uni Rostock. Hier lebt er ein typisches Studentenleben, in dem wir uns sicherlich noch heute – über 30 Jahre später – an einigen Stellen wiedererkennen. Oder auch nicht.

Zwei Lokalitäten waren bedeutsame Orte, erstmal wichtiger als die Uni und ihre Hörsäle. Da war der Meli-Club am Barnstorfer Wald und das Lindeneck in der Liskowstraße. Im Club saß ich immer Sonntagabend in der Bierstube und wartete auf die Kommilitonen, die vom Wochenendfrei aus ihren Heimatstädten zurückkamen und sich lärmend zurückmeldeten. Hier wurde abgestimmt, wer zu welcher Vorlesung am nächsten Morgen gehen sollte und wer noch etwas länger beim Bier hocken bleiben durfte. Oft wurde gewürfelt, wer sich Montag früh rausquälen musste zur Frühvorlesung, die 10 Uhr c.t. begann.

Das Meli – heute abgerissen – befand sich direkt gegenüber vom LT.
Quelle: Facebookseite Meli Club Rostock

Hörsäle der ersten Semester waren der in der Anatomie, wo man allein schon wegen der atemberaubenden Steilheit Montagfrüh nicht gerne saß oder in der Buchbinderstrasse das Chemische Institut mit seiner verräterischen Akustik, unbeliebt gerade bei Klausuren. Spickzettel rascheln besonders vernehmlich! Alles begann mit der „heiligen“ Anatomie. Ich bewunderte maßlos den offenbar allwissenden Professor Stach. Seine ruhige und souveräne Art sind mir bis heute beispielhaft geblieben. Ein Professor zum Anfassen, immer auskunftsbereit und ohne Allüren. Ich grüße ihn noch heute, wenn er mal im Straßenbild zu sehen ist, uralt und knorrig, aber immer noch verschmitzt lächelnd. Der Urbegriff eines Professors für mich.

Spicken is‘ nicht!
Quelle: Universitätsarchiv Rostock

Im Lindeneck in der Liskowstraße, nahe zu meinem Elternhaus, war Tagestreffpunkt und für viele wurde hier der Biertisch zum Schreibtisch. In den Thierfelder Baracken, wo die meisten Medizinstudenten wohnten, gab es nur kleine windschiefe Tischchen, die man sich obendrein mit anderen teilen musste. Aber am gemütlichsten und stimmungsvollsten war es in diesen ehemaligen Baracken mit Ofenheizung in jeder Stube. Auf dem knarrenden und schwankenden Fußboden wurden die tollsten Partys gefeiert. Am Ende eines solchen Abends verfiel immer einer auf die Idee, an der Kurbelsirene im Keller zu drehen, die da noch aus dem Krieg hing. „Ruhe, wir wollen schlafen“ piepsten Mädchen aus den Zimmern unterm Dach, wurden aber überlacht oder mit zur Party geschleppt, wo sie mit Küssen alsbald mundtod gemacht wurden.

Auch die Thierfelder Baracken gibt es heute nicht mehr.
Quelle: pinterest.de

Nach den ersten Anatomievorlesungen wurden wir mit Bussen nach Tutow bei Anklam zum Ernteeinsatz gefahren. In der Jugendherberge wollten wir nicht bleiben, denn in den Zimmern nebenan war eine Kompanie Soldaten. Wir waren gerade erst von der Armee entlassen und es war albtraumhaft, diese wohlbekannten Kommandos schon wieder hören zu müssen. Unserem Protest wurde stattgegeben und unsere Seminargruppe zog um ins Dörfchen Consages, wohl ein Name aus der napoleonischen „Franzosentied“. Hier wohnten wir gemütlich unter einem alten Reetdach bei einer einsamen Bäuerin, die sich wohl auch über die willkommene Abwechslung freute, eine Schar fröhlicher Studenten unter ihrem Dach zu beherbergen. Wir halfen ihr beim Abernten ihrer Apfelbäume und wurden zum Dank mit gebratenen Hühnern aus ihrem Stall bewirtet.
Alles über die Herstellung von Sauerkraut lernte ich in der Tutower Fabrik. Eine Woche beim Absammeln und Aufladen der Kohlköpfe auf den Feldern, die andere Woche beim Befüllen der Schnipselmaschinen und Umfüllen in die Pressbehälter. Leckerer Kohlsaft floss aus den Behältern. Mit Zucker verrührt war der Sud der Energieliferant für den ganzen Tag. Eine Woche waren wir bei der Rübenernte eingesetzt, der sogenannten Kampagne. Am Ende der vier Einsatzwochen räumten wir alle Zimmer im alten Bauernhaus frei und hatten so viel Platz für eine rauschende Abschiedsparty, an der natürlich auch unsere Wirtin teilnahm und begeistert mittanzte. Und das mit ihren achtzig Jahren. In dieses verstaubte und vergilbte Haus war ein frischer Wind gefahren und wirbelte alles durcheinander. Eine großartige Großmutter, von allen mit Umarmungen und Küssen verabschiedet.

Essen und Unterkunft für eine Handvoll Äpfel

Wieder zurück, begann der „Ernst des Studiums“, das heißt niemals wirklich ernst, denn es ging lustig zu in dieser Zeit. Vorlesungen mit arbeitsteiligem „Mitschreibedienst“, Seminare mit Anwesenheitspflicht am hellichten Tage, abends dann häufige Studentenkellerabende mit Musik der Zeit oder Kneipenrunden in unserer geliebten „Linde“. Ja, nebenbei wurde auch gelernt, gebüffelt aber mehr von den fleißigen Mädchen, die auch fast zu jeder Vorlesung gingen und mit Eifer bei der Sache waren. Ich dachte immer, wozu sich anstrengen, das schaffst du sowieso nicht, und am Ende Arzt zu sein war ein zu aberwitziger Gedanke, viel zu groß für mich. Lieber die Zeit genießen und feiern, was das Zeug hält. Jetzt! Aber von Semester zu Semester und von bestandener Prüfung zur nächsten Hürde wurde es allmählich klarer, dass ich dieses Studium schaffen könnte. Und es war gar nicht schlimm, im Gegenteil.

Ein Hoch auf das Studentenleben!

Mit Fränky aus meiner Seminargruppe ging ich zweimal die Woche ins Labor am Gertrudenplatz, um für kleines Geld Reagenzgläser zu spülen. Herr Schlisio war der Laborchef, unser „Arbeitgeber“. Er ließ uns in Ruhe Weintrauben bei minus 174 Grad in flüssigem Stickstoff einfrieren, die wie Glasmurmeln dann auf dem Kachelfußboden zersprangen. Er fuhr uns netterweise mit seinem zerbeulten Auto zurück in die Thierfelder. Einmal sprang er mitten auf der vollen Kreuzung aus dem Auto und lief zurück ins Labor. Wir saßen wie auf Kohlen in dem umhupten Wagen und verstanden nicht, was los war. Nach einer gefühlten halben Stunde kam er zurück mit einem Strauß Blumen, lachend und winkend. Die hatte er im Stickstoff vergessen, wo sie frisch bleiben sollten. „Für meine Frau“, sagte er und fuhr den „Wartburg“ aus dem Chaos. Ein komischer origineller Mann, dieser Dr. Schlisio.

Nostalgie pur!
Foto von nicokrziwanie auf Instagram

Mit Fränky schrieb ich auch die Diplomarbeit am Ende des zehnten Semesters (zwölf Semester waren es, die letzten beiden in der Klinik). Fränky war stinkfaul, hatte nie sein Pensum zum vereinbarten Termin fertig und da die Zeit drängte, schrieb ich auch seinen Part. Schuft! Aber er hatte einen Freund aus höherem Semester aus Tokio, auch im Wohnheim wohnend, der konnte einen Rechner dazu bewegen, uns lange Listen mit Literaturzitaten zu unserem Thema auszuspucken. Sensation für die damalige Zeit, in der DDR sowieso. Ich war versöhnt und mit dem fertigen Manuskript fuhren wir nach Bad Doberan, zu Witwe Brosthuis, die als ehemalige Sekretärin alles abtippen sollte. Im Wohnheim war eine Liste mit Schreibhilfen ausgehängt und wir wählten Frau B. des Namens wegen. Mehrmals mussten wir nach Doberan, weil immer noch einiges unklar war oder sie es nicht lesen konnte. Und immer kamen wir besoffen mit dem Zug zurück, weil ihrem Haus gegenüber eine verlockende Bierstube stand, die es heute noch gibt.

Unbeschwert, glücklich, Student.

Dies als kurze Zusammenfassung der Erinnerung ans Studium. Bei jedem Satz tauchen immer neue Sachen in meinem Gedächtnis auf, die aufzuschreiben Bände füllen würde. Vielleicht vorerst nur soviel…

Vielen Dank für diesen tollen Einblick in eine Studentenzeit vor über 30 Jahren!

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