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Unter Pfandpiraten – Ein Leben für die Flasche

„Ich liebe Flaschen“, antwortet Günther (64) auf die Frage, weshalb er tagtäglich Pfand sammelt. Er mag die Farben und Formen. So eine Flasche kann schon ein Kunstwerk sein. Und gleichzeitig bringt es ein paar Taler zusätzlich zur eher mauen Rente. Ganz Eifrige verdienen weit über 100€ im Monat. Er selbst kriegt nicht so viel zusammen. Ist auch nicht schlimm. Darauf angewiesen ist er angeblich eh nicht. Es macht ihm einfach Spaß, durch die Stadt zu laufen und auf „Schatzsuche“ zu gehen, wie er mit einem kehligen und beherzten Lachen klarstellt. Ein bisschen Tagesstruktur tut gut. Seit vier Jahren arbeitet er nicht mehr und nur vor der Glotze hängen will er auch nicht.

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Ein Stillleben nach Günthers Geschmack

Günther heißt übrigens gar nicht Günther. Sein richtiger Name soll nicht ins Internet und ein Foto von ihm erst recht nicht – nicht, dass er dann noch zu einem „Popschtar“ wird. Er fliegt lieber unter dem Radar. Sein wichtigster Begleiter ist sein „Hackenporsche“. Damit meint er seinen Zieh-Caddie, in dem er die Pfandflaschen transportiert.
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Schmierig, sabschig, wunderschön

Heute ist gutes Wetter und es sind endlich frühlingshafte Temperaturen. Die Leute sitzen in der Sonne, grillen am Hafen und trinken etwas – gute Laune liegt in der Luft. Perfekte Bedingungen für Pfandpiraten. Diesen Begriff hört Günther zum ersten Mal und lehnt ihn entschieden ab. Er wird fast etwas aufbrausend. „Ich bin doch kein Pirat! Ich überfalle doch niemanden oder nehme einem was weg“, poltert er in feinstem Norddeutsch. Aber er hat schon ein wenig Verständnis für diese Redewendung, denn einige Kollegen benehmen sich tatsächlich wie Piraten. „Die klauen dir die Flaschen, die du gerade gesammelt hast, vor der Nase weg. Manchmal ganze Tüten!“ Einige seien fernab von Anstand. Mit denen will er auch gar nichts zu tun haben. „Die sagen nicht bitte und nicht danke. Die nehmen einfach“, schimpft Günther. „Aber die haben’s vielleicht auch nicht so leicht, wa?“, schiebt er hinterher. Er kann nachvollziehen, dass für einige das Pfandsammeln existenziell ist. Da will er nicht über andere urteilen.
Günther ist eine Frohnatur und plaudert gerne – auch mit anderen Sammlern. Dann fragt er, wie die Arbeit läuft. Tatsächlich ist es für viele nämlich genau das: anständige und sinnvolle Arbeit. Das übersehen viele Menschen. Die Sammlerszene sei sowieso sehr heterogen. „Gesammelt wird in allen Gesellschaftsschichten. Kannste glauben“, sagt Günther. „Die laufen halt nur nicht im Anzug rum.“
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Eine Flasche wie ein Smaragd

Er kennt viele Leute auf den Straßen, wird gegrüßt und grüßt zurück. „Da geht einem das Herz manchmal auf“, strahlt Günther. „Das freut mich, wenn auch mal Interesse an einem gezeigt wird. Ich bin ja kein Assi.“ Ihm geht es auch viel um Würde und Respekt oder allgemein um das Image des Pfandsammlers. Er regt sich furchtbar darüber auf, dass viele den Pfand einfach in die Mülltonnen werfen. Man solle die Flaschen einfach daneben stellen. Das wäre ja so, als würde man Geld wegschmeißen. Außerdem sind die Pfandsammler dadurch gezwungen, die Mülleimer zu durchsuchen und hineinzugreifen. Das sähe so „notdürftig“ aus. „Die meisten denken doch, dass wir Penner sind.“ Das stört ihn sehr. Darum achtet er auch auf sein Äußeres – oder besser gesagt: achtet seine „Biene“ darauf. Damit meint er seine Frau, die sein Hobby unterstützt.
Wenn Günther besonders schöne Exemplare findet, stellt er sie sich in die Vitrine. „Die sind dann zu schade für den Pfandautomaten. Einige sammeln Briefmarken, ich sammle halt Flaschen. Das ist mein Hobby“, sagt der 64-Jährige leicht verlegen.
Nach seinen täglichen Stationen, einer Pausenbratwurst und einer leeren Desperados-Flasche, die zu seinen Lieblingsflaschen zählt, endet seine Tour im Supermarkt, wo er einen Schwung Leergut abgibt. Dort treffen wir Bärbel (66, Name geändert), ebenfalls Sammlerin und eine gute Freundin von Günther. Ein bisschen Smalltalk, ein „Muss ja“ hier und ein „Muss ja“ dort. Bärbel berichtet von einem Sammler, der heute angeblich einen kleinen Sprint hinlegte, als er ein Nest Dosen sichtete, in dessen Nähe sie sich befand. Sie tippt sich mit dem Zeigefinger auf die Stirn, winkt ab, wünscht einen schönen Abend und geht nach Hause.
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Eingang ins Pfandflaschen-Spaceship: Der Pfandautomat

Dosen bringen 25 Cent. Das ist in der Szene pures Gold. Der Schatz der Pfandpiraten? Günther schmunzelt: „Wenn man so will. Über eine Holzkiste voller Dosen hätte ich nichts einzuwenden – aber Flaschen wären schöner.“
Aber nun ist Feierabend.

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