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Nur jeder Vierte von uns sollte zur Uni gehen

Viele Eltern schicken ihre Kinder heutzutage trotz Realschulempfehlung aufs Gymnasium. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft ist Abitur das Minimum – schließlich kann ohne Abitur nur selten ein Beruf angestrebt werden, der angesehen ist und viel Gehalt verspricht. Auch, wenn das eigene Kind in der Schule Motivationsschwierigkeiten und Probleme mit dem Lernstoff hat, muss es doch mal etwas werden und die Familie stolz machen. Eine neue Studie zeigt, wie fatal diese Einstellung ist.

Die Studie wurde kürzlich von der Konrad Adenauer Stiftung veröffentlicht: „Ausbildungsreife & Studierfähigkeit“ geht der Klage vieler deutscher Hochschulprofessoren auf den Grund, dass viele angehende Akademiker mangelndes Wissen und Bereitschaft zum Selbstdenken mitbringen. Gerhard Wolf, ein Professor aus Bayreuth, hat an der Studie mitgeschrieben. Das Ergebnis: 75 Prozent der deutschen Abiturienten sind ungeeignet für ein Studium. 58 Prozent eines Geburtsjahres beginnen ein Studium.
Dieses erschreckende Ergebnis verwundert auf den zweiten Blick eher weniger. In vielen deutschen Bundesländern wurde das Abitur von neun auf acht Jahre verkürzt. Abiturienten sind sich ihrer Zukunft unschlüssig. Studieren, heißt es, kann man ja erstmal machen – das Studienfach zu wechseln ist ja auch möglich, falls das Studium nicht den eigenen Erwartungen entspricht. Sichtbar an zahlreichen Studierenden im 11.-18. Semester.
Rechtschreibfehler
Gerhard Wolf findet nicht, dass heutige Schüler dümmer als früher sind. Allerdings fehle es an Begabung zum wissenschaftlichen Arbeiten. Wolf betont, dass Rechtschreibung und Grammatik erlernbar sind – nicht aber die Begabung für die Bildungsform Studium. Wikipedia und der Rest des Netzes haben etwa historisches Faktenwissen ersetzt. Die akademische Unselbstständigkeit und die Versagensangst seien gestiegen, das Selbstbewusstsein allerdings auch. Als Resultat ist die Selbsterkenntnis gesunken. Fehleinschätzungen sind die Folge.
Wolf führt ein Beispiel an. Bei seinen Lehramtsstudenten werde viel Wert auf den finanziell sicheren Beamtenstatus gelegt. In einem Interview mit N24 sagt er:

„Kein Gedanke wird dabei auf die Frage verschwendet, wie man all die Jahre ohne Depression überstehen soll, wenn man sich für den Beruf eigentlich gar nicht interessiert, und ebenso wird ausgeblendet, dass der Lehrerberuf heute härter geworden ist, weil man im Vergleich zu früher wesentlich mehr Erziehungsarbeit nachleisten muss.

Er berichtet auch über das Eltern-Problem. Wenn die Eltern das Kind unbedingt zur Uni schicken wollen, das Kind aber lieber Tischler wird, ist das etwas, worüber die Eltern hinwegkommen müssen – nicht das Kind, indem es unglücklich im Studium wird. Das Hauptproblem sieht Wolf nicht in der fehlenden Intelligenz, denn das Problem entsteht erst nach der Wahl zum Studium. Vielmehr sei die Erkenntnis, wofür die eigene Person im Leben am besten geeignet ist, noch ausbaufähig.
Es geht auch nicht darum, Schüler runterzumachen oder sie von Karriere auszuschließen. „Andere, sinnvollere Ausbildungen“ seien hilfreicher, so Wolf im Interview mit N24.
Politik will immer glänzen. Die Bildungspolitik will schlaue Schüler, gute PISA-Ergebnisse. Das liegt mitunter daran, dass Bildung Ländersache ist und damit zu einem Konkurrenzkampf wird. Wer hat die besten Schüler? Benotet wird daher immer wohlwollender. In MV wurde unter der Regierung mit Bildungsminister Brodkorb gerade die Benotung verschärft – nun wird es schwieriger, eine 1 zu schreiben. Aber G8 und Bologna sind nach wie vor ein Problem, das Schüler ausbaden müssen. Wolf berichtet von entrüsteten Vertretern von Wirtschaftsverbänden, die über Absolventen klagen, die mit einem Studienabschluss von 1,7 keine Prozentrechnung beherrschen.
prozentrechnung
Referendare haben keine Ahnung von Schiller. Gar nicht abwegig, auch in MV nicht – im Rostocker Germanistikstudium etwa ist weder Kafka noch Goethe oder Schiller Pflicht. Die Seminare werden nach den günstigsten Zeiten und Plätzen ausgesucht. Eine Vorlesung am Montagmorgen ist daher eher von den 25 Prozent besucht, die sich für ihr Studium auch wirklich interessieren und Leidenschaft sowie Begabung mitbringen.
Auch die BA/MA-Reform trägt ihren Teil dazu bei. Viele verzichten auf den vertiefenden Master, haben nur oberflächliches Wissen. Nach dem Bachelor von drei Jahren wird die Aufgabe „studieren“ als abgehakt angesehen, wo früher zwei weitere Jahre für ein Diplom o.Ä. selbstverständlich waren.
Immerhin sind wir auf internationaler Ebene noch überdurchschnittlich wettbewerbsfähig. Deutsche Unis haben einen guten Ruf. Wolf findet aber, dass wir einiges tun müssen, damit das so bleibt. Kein Durchwinken mehr, eine Orientierung an der Gaußschen Normalverteilung bei der Notenvergabe. Die Politik soll die Abiturientenquote nicht als Maßstab für Erfolg in der Bildung sehen.

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