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Story: Ist es rassistisch, Geflüchtete als WG-Mitglied abzulehnen?

Jule (23), Kathi (21) und Lisa (23) studieren auf Lehramt. Wer ihre WG besucht, kommt nicht an der „Alohomora“-Fußmatte vorbei, die Lisa letztes Jahr zu Weihnachten bekommen hat. „Casa JuLiKa“ nennen sie manchmal scherzhaft ihre Wohnung, drei Jahre lang hat das WG-Leben trotz nicht eingehaltenem Putzplan funktioniert.
Eine schöne Zeit. Drei Zimmer, dünne Wände. Obwohl sich Jule manchmal nicht sicher ist, ob sie gerade eine Nachbarin oder eine Mitbewohnerin beim morgendlichen Toilettengang hört, ist sie traurig, dass sie gehen muss. Ihr bleiben nur noch zwei Monate in der WG, denn sie hat einen Referendariatsplatz in Schleswig-Holstein bekommen. Ihr Mietvertrag ist gekündigt. Es soll ein Nachmieter gefunden werden, denn Kathi und Lisa können nicht mehr Miete bezahlen.

Quelle: getdigital.de

Bei WG-Gesucht und in verschiedene Facebookgruppen stellt Jule das freie Zimmer ein. Schnell ist das E-Mail-Postfach voll. „Ein Vorgeschmack für meine Zukunft“, denkt sie, die als künftige Lehrerin viele E-Mails von erbosten Eltern erwartet. Mit Kathi und Lisa lädt sie die Interessenten zu Wohnungsbesichtigungen ein. Darunter: die E-Mail von Rayhan Najjar: „Hallo meine Name Rayhan. geflüchtet aus Syrein interesere für zimmer spreshe sergut English aber einpessein deutsch. bin 29 Jahre Ist zimmer frei?“
Jule ruft den Rest von „Casa JuLiKa“ zu sich und liest, wie alle anderen, auch diese E-Mail laut vor. „Ihr sollt entscheiden – denn ich bin ja bald weg. Soll ich ihn einladen?“ Zunächst schweigen. „Lies nochmal vor“, bittet Lisa. Jule hat noch nicht bis zum Ende vorgelesen, da unterbricht sie Kathi. „Also ich würde ja“, setzt sie an, „aber es gibt so viele kulturelle Unterschiede. Und die Sprache kann er auch nicht richtig. Ich weiß nicht, ob ich mich mit dem wohlfühlen würde.“

Lisa: „Na und? Wir können ihn ja erstmal bei einer Besichtigung kennenlernen.“
Kathi sagt eine Weile nichts, schaut aus dem Fenster. Dann sagt sie: „Dann redest aber du mit ihm. Wenn der kein Deutsch kann, weiß ich nicht, was ich sagen soll.“ Lisa verkneift sich ein Augenrollen. „Englisch spricht er aber gut, schreibt er. Du schaust doch Game Of Thrones auch immer in deiner geliebten Originalsprache.“ Kathi sucht nach einem Gegenargument. Sie ertappt sich dabei, wie ihre Stimme trotzig wird. Wie immer, wenn sie ihre eigene Unsicherheit verstecken will. „Eine Sprache übe ich in ’nem anderen Land, nicht Zuhause. Da möchte ich mich nicht jedesmal anstrengen müssen, wenn ich nur eine Putzschicht tauschen will.“
Lisa wird ungeduldig. Sie merkt, dass Kathi weitere Gründe finden wird – egal, was sie sagt. Es ist Kathi offenbar unangenehm, auf alltäglicher Basis mit fremder Kultur konfrontiert zu werden. Lisa muss sich eingestehen, dass sie es ebenfalls als anstrengender empfindet, als jemanden auszusuchen, mit dem es keine Sprachbarrieren zu überwinden gilt. Dennoch weiß sie, dass das nur einen Grund hat: Sie ist zu faul. Und darunter soll niemand anderes leiden müssen. Also sagt sie: „Kathi, du warst doch letzte Woche mit auf der Gegendemo zur AfD-Kundgebung. Es widerspricht sich, wenn Du auf eine Demo gegen Rechts gehst und dann die Integration von Geflüchteten behinderst. Was soll schon passieren? Lass uns doch ein gutes Beispiel sein.“
Quelle: @geppi_afa_161 auf Instagram

Kathi hat mit diesem Argument bereits gerechnet, weiß trotzdem keine gute Entgegnung. „Ja stimmt schon, aber keine Ahnung. Ich finde, in der eigenen Wohnung ist das was anderes. Ich zahle Miete und möchte mir aussuchen, mit wem ich meine Privatsphäre teile. Wenn das jemand ist, der sich so von mir unterscheidet, weiß ich nicht.“ Sie merkt selbst, dass ihre Argumente schwach sind und schaut betreten zu Boden. Lisa entgegnet: „Das ist die gleiche Argumentation von vermeintlichen Atomkraft-Gegnern, die aber keine Windkraftanlagen vor ihrer Haustür haben wollen. Darüber hattest du dich doch bei deinem Bruder so aufgeregt.“
Quelle: @martin_reichmann auf Instagram

Kathi schämt sich ein bisschen und sie will keinen Streit. Sie mag lieber Harmonie. Aber noch mehr will sie sich in ihrer eigenen Wohnung vollkommen wohlfühlen und sich nicht mit Englisch-Halbwissen blamieren. Sie beharrt auf ihrer Position. Sie hat doch ein Recht dazu, wenn sie einen Wohnraum mietet. Sie schaut auf, als Lisa das Wort ergreift. „Es könnte unter den Eingeladenen jemand sein, der viel sportlicher ist als du, bessere Noten schreibt und andere politischen Ansichten hat. Derjenige unterscheidet sich womöglich viel mehr von dir.“ Kathi sucht nach einer Antwort. „Ja, aber der hat wenigstens die gleichen alltäglichen Standards wie ich.“ Sie habe mal gehört, dass Inder sich nicht duschen, sondern nur in Wasserdampf stehen.
Quelle: pixabay

Sie fühlt sich bedrängt. Jule hält sich aus der Diskussion raus, aber Kathi weiß, dass Jule ähnlich denkt wie Lisa. Das macht sie wütend. Zwei gegen einen ist immer eine bedrängende Situation. „Dieser Rayhan, nachher duscht der nur einmal die Woche und lässt seine Essensreste hinter’m Schrank verschimmeln!“ Lisa: „Bei ihm weißt du das genauso wenig wie bei den anderen, die zur Besichtigung kommen. Was willst du machen? Das tägliche Duschen als Einzugsvoraussetzung festlegen?“ Zu diesem Zeitpunkt ist allen drei Mädchen bereits klar: Eine Einigung ist nicht in Sicht. Das Gespräch wird vertagt – für „Casa JuLiKa“ eine Art Alibi für Themen, die Streit auslösen. Alle wissen, dass es nur Kompromisse als Einigung geben kann. Keiner will nachgeben. Die Mädchen haben keine Lust, sich kurz vor Jules Auszug zu zerstreiten. Rayhan bekommt keine Antwort auf seine E-Mail.
Diese Geschichte ist nicht ganz frei erfunden. Sie basiert auf Beobachtungen und Gesprächen mit Wohngemeinschaften, wurde für die Veröffentlichung allerdings anonymisiert. Alle vorkommenden Personen sind fiktiv.

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